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Weihnachtschaot

  • Autorenbild: Jazz Double-u
    Jazz Double-u
  • 12. Dez. 2020
  • 3 Min. Lesezeit

Abgehetzt, verschwitzt wühlte er sich durch die Menschenmenge – Abstand halten zu anderen Menschen? Schwierig realisierbar. Seine Herzfrequenz hatte das Niveau wie bei einer Fluchtsituation- als wäre ein Raubtier hinter ihm her. Er hasste es und deshalb schob er es jedes Jahr aufs Neue vor sich her. Aber das Aufschieben machte die Sache nicht erträglicher- eher noch stressiger. Das Tragen des Mundschutzes machte die Einkaufstour erst recht zu einem Marathon. Er hatte nur noch eine Anlaufstelle. Schmuckladen. Irgendwas Glitzerndes, welches leuchtenden Augen bei seiner Freundin Michelle erzeugen würde. Der Schmuckladen war eigentlich nicht weit weg. Er musste aber sowie so zum Auto, um seine weihnachtlichen Geschenkerrungenschaften sicher im Kofferraum zu verstauen. Der Mundschutz baumelte an seinem rechten Ohr an der Schlaufe und wehte im Takte seines Schrittes. Er entriegelte von weitem das Auto und als er es erreichte, machte er trotz der Menge an Tüten geschickt den Kofferraum auf und manövrierte den Weihnachtswahnsinn in hinein. Der Zeitplan war knapp. Es war schon 15 Uhr. Schnell hatte er den Schmuckladen erreicht. Das Glitzern in dem Laden war atemberaubend. Alles funkelte ihm entgegen. Er durfte jedoch keine Zeit verlieren.

„Entschuldigung. Ähm. Ich suche ein Geschenk für meine Freundin. Könnten sie mich beraten?“

Eine ältere Dame mit strengem Blick schaute ihn an. Sie lächelte knapp.

„Aber natürlich. Wie alt ist ihre Freundin denn? Und welche Vorlieben hat sie?“ fragte sie in einem steifen Hochdeutsch - etwas lehrerhaft kam es rüber.

"Sie ist 29 und ähm ... Vorlieben? Eine Kette wäre schön.“

Und nun begann das was er nicht erwartet hatte, ein hart einstudierter Verkaufsmonolog und eine Vorführung von unzähligen Ketten und Anhängern. Ihm kam der Verdacht, dass die Dame den ganzen Tag keinen Kunden gehabt haben musste und nun ihr ganzes Verkaufspulver bei ihm verschossen hat. Überreizt von ihrem Verkaufscharme und den Vorführungen von Dingen aus denen Frauenträume sind, entschied er sich schlussendlich für irgendeine. Egal. Einfach nur raus aus der Hütte.

Als er seinen Parkplatz nach dem Kauf das letzten Geschenks erreichte, traf ihn der Schlag.

„Verdammt, wo ist mein Auto?“ Suchend blickte er sich um und da sah er es am Ende der Straße - aufgebockt auf einem Abschleppwagen von Alfreds Abschleppdienst. Er hatte in der Eile mit seinem Fahrzeug eine Feuerwehrzufahr blockiert. Reflexartig rannte er zu einer Ansammlung abgestellter Fahrräder. Ja! Eins war nicht angeschlossen. Er nahm es und fuhr seinem Auto hinterher. Sinnlos, aber er fuhr. Als es komplette aus seinem Schichtfeld verschwunden war, hielt er inne und suchte mit seinem Handy die Anschrift des Abschleppunternehmens heraus. Er radelte noch 45 min durch die eisige Kälte und erreichte das Unternehmen, welches außerhalb der Stadt lag. Er spähte durch das Gittertor und sah sein Auto noch immer auf dem Abschleppwagen. Alles schien verlassen zu sein.

„Hallo. Sie haben meinen Wagen abgeschleppt!“

Lediglich die Stille antwortete ihm.

Er musste an die Geschenke im Kofferraum. Um Weihnachten zu retten, hatte er bereits ein Fahrrad gestohlen und damit war die Hemmschwelle doch sehr niedrig geworden. Kurzer Hand kletterte er über den Zaun und dann auf den Abschleppwagen. Sein Auto bekam er nicht runter- so viel war klar. Er durchsuchte sein Fahrzeug und fand eine Picknickdecke und einen alten Strick. Perfekt. Er wickelt das Transportgut in die Decke ein und schnürte es wie einen Sack zu. Diesen befestigte er auf seinem Rücken. Er hatte nur noch 60 min bis zur Bescherung. Mit dem Sack auf den Rücken ging die eisige Radtour weiter. Autos, die an ihn vorbeifuhren hupten und die Passagiere riefen ihm zum Teil komische Dinge zu. „Jetzt aber Beeilung, Weihnachtsmann, die Kinder warten.“ Langsam verstand er. Er hatte eine rote Jacke an und einen Sack auf dem Rücken – er sah aus wie ein verdammter Weihnachtsmann auf einem Drahtesel. Erschöpft und glücklich und vor allem pünktlich kam er zu Hause an und konnte in die leuchtenden Augen seiner Lieben blicken, während er die harterkämpften Geschenke übergab.

Nie wieder Last-Minute-Shopping!!!

(Das Rad stellte er an diesem Abend noch zurück.)

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